Sonntag, 23. Januar 2011

Black Swan Kritik




Sayers (Natalie Portman) ist eine schüchterne, sehr zerbrechlich wirkende Ballerina. Sie ist perfektionistisch veranlagt, tanzt aber trotzdem immer eher in der zweiten Reihe. Wie alle Tänzerinnen träumt sie von der großen Solokarriere. Auf eine sehr subtile Art wird sie von ihrer Mutter (sehr beeindruckend: Barbara Hershey) angetrieben. Nina wird von ihr wie ein kleines Kind umsorgt, abends dreht ihre Mom noch die Spieluhr auf, ihr Zimmer ist überfüllt mit Kuscheltieren. Das allein ist schon gruselig. Hinzu kommt noch etwas sehr Angstmachendes, das von der Mutter ausgeht. Sie erinnert ein wenig an die bösen Haushälterinnen aus den Hitchcockfilmen. Jeden Moment erwartet man ein Messer, das gezückt wird. Das passiert aber nicht. Ihre einzige Waffe ist eine Nagelschere, mit der sie Nina die Nägel so kurz schneidet, bis dass das Nagelbett blutet. Für Nina wird der(Alp-)Traum wahr, als ihr der exzentrische Theaterdirektor Thomas Leroy (überzeugend: Vincent Cassel) die Hauptrolle in "Schwanensee" anbietet. Er möchte das Stück völlig neu inszenieren. Nina soll die anspruchsvolle Doppelrolle des reinen weißen und des bösen schwarzen Schwans übernehmen. Gegensätzlicher geht es beinahe nicht mehr. Die Charakterzüge des weißen Schwans entsprechen denen von Nina, aber die des schwarzen dem Anschein nach überhaupt nicht. Thomas drangsaliert sie, wo er nur kann, er belästigt sie sexuell unter dem Vorwand, sie so mehr aus der Reserve locken zu können, damit sie dem schwarzen Schwan die nötige erotische Ausstrahlung verleihen kann. Die sensible Nina wird immer besessener von der Rolle. Sie wird von den Konkurrentinnen getriezt, ganz vorne weg ihre Zweitbesetzung, die sinnliche Lily (unverschämt gut: Mila Kunis). Nina fühlt sich von Lily angezogen, aber auch gleichzeitig verfolgt und gedemütigt. Was ist Einbildung, was ist wahr? Der Zuschauer betrachtet das Geschehen hauptsächlich aus Ninas Augen. Woher kommen die Blutkratzer auf ihrem Rücken? Sind Dämonen am Werk oder verletzt sich Nina selbst? Je mehr sie in ihre Doppelrolle eintaucht, umso mehr passieren unheimliche und beängstigende Dinge. Schockierende Geschehnisse erschrecken sie und somit auch die Zuschauer. Nie gekannte sexuelle Fantasien überkommen Nina, ihr Körper wird ständig von Gänsehautschauern (oder heißt es hier besser "Schwanenhautschauern"?) überzogen. Mehr kann man nicht in eine Rolle eintauchen, wie sie es mit einer höchst selbstzerstörerischen Intensität tut.
Dieser von Natalie Portman furios dargestellte Charakter, um den sich in "Black Swan" alles dreht, bescherte ihr gerade völlig verdient einen Golden Globe, womit sie zwangsläufig auch eine heiße Oscar-Kandidatin ist. Die Rolle lässt Erinnerungen an Heath Ledger hochkommen. Als er an einer Überdosis Tabletten verstarb, meldeten sich schnell die Psychiater zu Wort. Sie hielten es für unverantwortlich, dass einem psychisch sehr labilen Menschen die Rolle des irren Jokers gegeben worden ist. Genauso verkraftet ein Mädchen wie Nina, die ihre Grenzen komplett überschreitet, solch eine anspruchsvolle, beinahe schizophrene Rolle nicht. Der diabolische Thomas nutzt das schamlos aus und spielt lustvoll seine Psychospiele. Für sein eigenes Ego geht er über Leichen. Ausgediente Lieblingskünstler sortiert er gnadenlos aus. Eine davon ist die von Winona Ryder sehr gut dargestellte Beth Macinty.
Regisseur Darren Aronofsky ("The Wrestler") hat ein echtes Meisterwerk abgeliefert. Sein bis in die Nebenrollen grandios besetzter Film ist einfach nur der helle Wahnsinn. Wer ein Ballettfilmchen erwartet, in dem schwerelos anmutende Choreografien im Tutu getanzt werden, hat sich regelrecht geschnitten. Aronofsky wollte einen Blick hinter die Kulissen ermöglichen. Hier wird gehauen und gestochen, gekeucht und gekämpft, das Blut und der Schweiß fließen in Bächen. Mit dokumentarisch anmutenden Handkamerabildern zieht er das Publikum mitten ins Geschehen dieses Psychothrillers. Er schafft mit "Black Swan", was nur ganz wenige Filme erreichen. Er berührt, verstört und lässt das Publikum ungläubig und mit den Tränen kämpfend den Saal verlassen.

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